„Vom Hasen bis zur Kuh hab ich schon alles getötet“, war dann doch heut morgen die Thomas` Aussage. Zugegebenermaßen ist der Satz aus dem Kontext gerissen. Wir hatten gerade unser Obstsalat-Frühstück hinter uns, dazu Bananen-Brei und einen frisch zubereiteten Fruchtsatz hinter uns, aber uns beschlich noch immer das Gefühl, dass Omlett mit Wurst ganz gut tun würde. Zubereitet hatte das Frühstück Dalia, eine Mexikanerin, die Thomas über Couch-Surfing kannte, das ist eine Internet-Plattform, über die sich sämtlich Teilnehmer gegenseitig anschreiben, wenn sie an einen Ort reisen und einen Schlafplatz suchen. Die Mexikanerin, die eigentlich Israelin ist und eine paraguanische Mutter hat, lebte also einige Tage bei Thomas, kaufte wie verrückt Obst und Gemüse ein, kochte und sang für uns. Zum Freitag Abend waren wir dann bei einem der extrem Reichen geladen – und weil Thomas sich für Whiskey entschied und ich mich höflichkeitshalber anschloss, wurde ich vor die Frage gestellt, was für einen Whiskey ich denn gerne hätte. Bezüglich Bier hätt ich eine Antwort gewusst, bei Wein irgend etwas daher gebrabbelt, was Eindruck macht, aber beim Whiskey war ich leider überfordert, entschied mich für Malt, aber danach waren noch immer 50 Flaschen zur Auswahl. Später am Abend waren wir fast zum Karaokesingen bereit, schafften es aber nicht, den Fernseher anzuschalten, Dalia wurde von ein und derselben Person vier Mal gefragt, woher sie denn komme und dann vier Mal was sie denn in Chennai machte, so dass Ansgar, Thomas und mir die Aufgabe gestellt wurde, das Lachen – wieder aus Höflichkeit – zu unterbinden. Wir machten uns also besser auf dem Weg, weg aus dem Haus mit den drei Tennisplätzen und den Familien, den kilometerweise Land an der Strandpromenade und Häuser in London, New York und Tokyo gehört. Darüber wurde dann doch hin und wieder gesprochen. Bei Thomas angelangt wurde fröhlich gekickert und dann bis zum Obstsalat mehr oder weniger gut geschlafen, drei Mann in einem Bett und einer davon rodet Wälder...
Heut abend zog es dann Dalia nach Bombay, danach folgen noch etliche andere Orte in Indien . insgesamt dauert ihre Reise durch Indien fünf Monate. Zwei Tage zuvor haben wir ein anderes deutsches Mädchen kennengelernt, dass eine ähnliche Route in fünf Wochen hinter sich bringen möchte und sich dann ebenfalls heute verabschiedet hat. In dieAbschiedliste gesellen sich zwei Handelskammer-Referendare Uschi und Hudson, eine Schwedin, deren Name irgendwie nicht hängen geblieben ist, zwei in Holland studierende deutsche Mädchen Barbara und Carolien und bestimmt irgendwer, den ich schon wieder vergessen hab. Bemerkt sei, dass ich nicht einmal zwei Monate hier bin. Das Abschiedsthema ist permanent und der nette Hinweis, dass ich hier fast nur Deutsche aufzähle und man sich ja mit Indern anfreunden kann, ändert die Sache nicht großartig, da es auch die Inder, die man hier kennenlernt, von Ort zu Ort zieht. Die Inder, die nicht die Möglichkeit haben, weiterzuziehen, lernt man schlicht schwerer kennen. So bleibt der fade Beigeschmack, nette Leute und Freunde zu finden, die in absehbarer Zeit, ihre Reise nach Irgendwo fortsetzen. Vielleicht ist das auch das Alter, in dem Leute ihre Studiengänge beenden, anfangen, noch keine Familie haben, in Deutschland Familie haben und zurückziehen, sich weiter auf die Suche begeben. Suchen tun hier ganz sicher viele etwas, wobei meine Freunde hier eher zu denjenigen gehören, die es eher durch Zufall hier her verschlagen hat und die hier ein, so weit es möglich ist, normales Leben leben. Weitestgehend nicht deshalb, weil man sich nicht normale Standards einrichten könnte oder die Lebensqualität kein normales Leben zuließe, sondern weil hier sovieles anders ist, dass ich das deutsche „normal“ nicht mit dem indischen „normal“ gleichsetzen kann. Natürlich passt sich hier vieles an, im Vergleich zu 2006 sieht man enorme Änderungen, nicht bloß neue Häuser, Autos und Brücken, sondern viel mehr Ausländer, andere Produkte in den Supermärkten, bessere und saubere Supermärkte, seltenere Stromausfälle, mehr Import, mehr moderne Inder und und und. Auf unserem heutigen Kurzausflug in ein kleines Tempel-Nachbardorf war der Schrecken nicht gerade klein, dass dort unzählige Weiße herumliefen. Ich hab natürlich nur in der Sommerzeit in 2006 hier gelebt, vielleicht verschlägt es die Leute im Winter lieber nach Indien und das erklärt, warum soviele Hippies hier plötzlich herumlaufen. Oder aber immer mehr Geschäfte werden hier gemacht und immer mehr Weiße kommen her und rennen in Salvarkamees, Lunghis und Sarees herum Die Schreibweisen sind bestimmt falsch, in Chennai schreibt man gerne alles mit EEZ am Ende, es gibt einen Klamottenladen, der sich „Klotheez“ nennt....Salvas sehen aus wie Saris und Lunghis sind eine Art Rock für Männer. Ich kann mir nicht dabei helfen, Weiße in solchen Klamotten nicht ernstnehmen zu können, weil meist die Gesichter, der Gang und alles andere was die Menschen ausstrahlen, nicht zu der Kultur ihrer Kleidung passt. Andersherum ist das relativ ähnlich: so wirken einige Südinder in extrem modernen Westler-Kleidung irgendwie auch deplaziert. Allerdings ist das eine Modernisierung. Das andere ist weit komplexer: zum einen findet man sicher viele Aussteiger, viele Indien-Fans, für die „Indien schon immer alles war“, dann die Leute aus den unterschiedlichsten Religionen oder Sekten, die sich allerdings mit den anderen Gruppen sicher wieder überschneiden. Beinah am schlimmsten sind die Touristen und Kurzurlauber, die sich in den Touristenfallen-Dörfern indische, farbenfrohe und ganz sicher schöne, Kleidung kaufen und meinen, dass das sehr positiv und indisch wirkt, weil es bei den Indern und Inderinnen so schön aussieht. Von mehreren Seiten wurde mir bestätigt, dass die Inder ein wenig über Weiße in Saris und Lunghis schmunzeln müssen. So ganz normal sieht es einfach nicht aus. Vielleicht lieg ich mit der ganzen Idee auch falsch, weil alle Weißen, ob amerikanisch in Shorts und T-Shirts oder aber in indisch-traditioneller Kleidung in der so sehr anderen, tradtionellen und unbeschreiblichen indschen Welt wie ein Fremdkörper wirken. Ich kann mich sicher kleiden wie ich will und werde noch immer angeglotzt. Trotzdem nimmt man die Kultur eher an, indem man die Geflogenheiten, Tricks und Kniffe heraus hat, indem man die Orte und Straßen in der Stadt kennt. Kultur annehmen, vielleicht auch eher zeigen, dass man die Kultur respektiert. Dazu gehört ganz sicher mehr, als sich die Tempel anzusehen und sich einen Sari anzuziehen. Und damit wieder zurück zu Thomas und Ansgar: Thomas, der heute nach dem „Voll“-tanken, die Tankanzeige kontrolliert und danach ohne nachzubezahlen, den Tank wirklich voll machen lässt. Das Ganze in bestimmter aber freundlich Art: „Here is my visiting card. I am leaving now. If you want something, you can call me.” Ansgar besticht mit Ruhe, indem er sich vor einen Rikshaw-Fahrer stellt, beide Seiten scheinen nach der Preisverhandlung verhärtet und genau das ist der Zeitpunkt, in dem ich gehen würde und mir eine andere Rik suche. Ansgar bleibt in aller Ruhe stehen, lächelt den Fahrer an, raucht eine Zigarette und nach einer Minute des Schweigens ist der Rik-Fahrer ohne ein weiteres Argument einverstanden.
Die Beispiele mögen oberflächlich wirken oder nicht entscheidend, aber für mich macht es gerade den Unterschied, ob man sich hier auskennt oder ob man sich immer mal wieder übers Ohr hauen lässt. Der Inder auf der anderen Seite hat auch meistens ein Lächeln parat, scheinbar anerkennend, weil sich zumindest dieser Ausländer nicht so leicht wie die üblichen Ausländer ausnehmen lässt. Ansgar antwortet hier auch gerne auf die Frage seiner Herkunft mit Chennai, so dass eine kurze Verwirrung bei dem Gegenüber entsteht, die Frage wird nochmal gestellt, wieder heißt es Chennai und schon kommt man in eine Unterhaltung über die Stadt und alles andere. „Ob man denn Tamil kann“, kommt dann die grinsende Frage und „Illa, jeneke tamil teriade“ (Nein, ich kann kein tamil) lautet die Antwort, so dass man ein herrlich verbluefftes Gesicht erntet.
Die Geschichte hier hab ich vor gut einem Monat geschrieben, vielleicth schon ein wenig laenger her. Die Wahrheit ueber Indien, ueber Inder, ueber die Auslaender, die Weissen verschwimmt immer mehr. Wie schon so oft zitiert, kann man Indien nach einem Tag wesentlich leichter beschreiben, als nach einem Jahr. Man findet Freunde, wie in Deutschland, so Sid oder Vaijayanthi bei der Arbeit, oder Auslaenderfreunde wie Marc, Sam, Anse und Tommy. Einige kommen neu, andere gehen, zwischendurch viele viele Unterhaltungen, viele Feiern, viel Strand, viele ewige Fahrten durch eine Stadt, die man immer besser kennt und trotzdem immer wieder in Gegenden kommt, die man nie zuvor gesehen hat. Immer wieder Situationen, die neu sind, ueberraschend, die mich daran erinnern, dass ich lebe, wie sehr ich hier lebe. Alles bringt irgendwie seine Vorteile.Und sobald ich mir Zeit nehm, schreib ich wieder. Klar, oder?