Heut abend zog es dann Dalia nach Bombay, danach folgen noch etliche andere Orte in Indien . insgesamt dauert ihre Reise durch Indien fünf Monate. Zwei Tage zuvor haben wir ein anderes deutsches Mädchen kennengelernt, dass eine ähnliche Route in fünf Wochen hinter sich bringen möchte und sich dann ebenfalls heute verabschiedet hat. In dieAbschiedliste gesellen sich zwei Handelskammer-Referendare Uschi und Hudson, eine Schwedin, deren Name irgendwie nicht hängen geblieben ist, zwei in Holland studierende deutsche Mädchen Barbara und Carolien und bestimmt irgendwer, den ich schon wieder vergessen hab. Bemerkt sei, dass ich nicht einmal zwei Monate hier bin. Das Abschiedsthema ist permanent und der nette Hinweis, dass ich hier fast nur Deutsche aufzähle und man sich ja mit Indern anfreunden kann, ändert die Sache nicht großartig, da es auch die Inder, die man hier kennenlernt, von Ort zu Ort zieht. Die Inder, die nicht die Möglichkeit haben, weiterzuziehen, lernt man schlicht schwerer kennen. So bleibt der fade Beigeschmack, nette Leute und Freunde zu finden, die in absehbarer Zeit, ihre Reise nach Irgendwo fortsetzen. Vielleicht ist das auch das Alter, in dem Leute ihre Studiengänge beenden, anfangen, noch keine Familie haben, in Deutschland Familie haben und zurückziehen, sich weiter auf die Suche begeben. Suchen tun hier ganz sicher viele etwas, wobei meine Freunde hier eher zu denjenigen gehören, die es eher durch Zufall hier her verschlagen hat und die hier ein, so weit es möglich ist, normales Leben leben. Weitestgehend nicht deshalb, weil man sich nicht normale Standards einrichten könnte oder die Lebensqualität kein normales Leben zuließe, sondern weil hier sovieles anders ist, dass ich das deutsche „normal“ nicht mit dem indischen „normal“ gleichsetzen kann. Natürlich passt sich hier vieles an, im Vergleich zu 2006 sieht man enorme Änderungen, nicht bloß neue Häuser, Autos und Brücken, sondern viel mehr Ausländer, andere Produkte in den Supermärkten, bessere und saubere Supermärkte, seltenere Stromausfälle, mehr Import, mehr moderne Inder und und und. Auf unserem heutigen Kurzausflug in ein kleines Tempel-Nachbardorf war der Schrecken nicht gerade klein, dass dort unzählige Weiße herumliefen. Ich hab natürlich nur in der Sommerzeit in 2006 hier gelebt, vielleicht verschlägt es die Leute im Winter lieber nach Indien und das erklärt, warum soviele Hippies hier plötzlich herumlaufen. Oder aber immer mehr Geschäfte werden hier gemacht und immer mehr Weiße kommen her und rennen in Salvarkamees, Lunghis und Sarees herum Die Schreibweisen sind bestimmt falsch, in Chennai schreibt man gerne alles mit EEZ am Ende, es gibt einen Klamottenladen, der sich „Klotheez“ nennt....Salvas sehen aus wie Saris und Lunghis sind eine Art Rock für Männer. Ich kann mir nicht dabei helfen, Weiße in solchen Klamotten nicht ernstnehmen zu können, weil meist die Gesichter, der Gang und alles andere was die Menschen ausstrahlen, nicht zu der Kultur ihrer Kleidung passt. Andersherum ist das relativ ähnlich: so wirken einige Südinder in extrem modernen Westler-Kleidung irgendwie auch deplaziert. Allerdings ist das eine Modernisierung. Das andere ist weit komplexer: zum einen findet man sicher viele Aussteiger, viele Indien-Fans, für die „Indien schon immer alles war“, dann die Leute aus den unterschiedlichsten Religionen oder Sekten, die sich allerdings mit den anderen Gruppen sicher wieder überschneiden. Beinah am schlimmsten sind die Touristen und Kurzurlauber, die sich in den Touristenfallen-Dörfern indische, farbenfrohe und ganz sicher schöne, Kleidung kaufen und meinen, dass das sehr positiv und indisch wirkt, weil es bei den Indern und Inderinnen so schön aussieht. Von mehreren Seiten wurde mir bestätigt, dass die Inder ein wenig über Weiße in Saris und Lunghis schmunzeln müssen. So ganz normal sieht es einfach nicht aus. Vielleicht lieg ich mit der ganzen Idee auch falsch, weil alle Weißen, ob amerikanisch in Shorts und T-Shirts oder aber in indisch-traditioneller Kleidung in der so sehr anderen, tradtionellen und unbeschreiblichen indschen Welt wie ein Fremdkörper wirken. Ich kann mich sicher kleiden wie ich will und werde noch immer angeglotzt. Trotzdem nimmt man die Kultur eher an, indem man die Geflogenheiten, Tricks und Kniffe heraus hat, indem man die Orte und Straßen in der Stadt kennt. Kultur annehmen, vielleicht auch eher zeigen, dass man die Kultur respektiert. Dazu gehört ganz sicher mehr, als sich die Tempel anzusehen und sich einen Sari anzuziehen. Und damit wieder zurück zu Thomas und Ansgar: Thomas, der heute nach dem „Voll“-tanken, die Tankanzeige kontrolliert und danach ohne nachzubezahlen, den Tank wirklich voll machen lässt. Das Ganze in bestimmter aber freundlich Art: „Here is my visiting card. I am leaving now. If you want something, you can call me.” Ansgar besticht mit Ruhe, indem er sich vor einen Rikshaw-Fahrer stellt, beide Seiten scheinen nach der Preisverhandlung verhärtet und genau das ist der Zeitpunkt, in dem ich gehen würde und mir eine andere Rik suche. Ansgar bleibt in aller Ruhe stehen, lächelt den Fahrer an, raucht eine Zigarette und nach einer Minute des Schweigens ist der Rik-Fahrer ohne ein weiteres Argument einverstanden.
Die Beispiele mögen oberflächlich wirken oder nicht entscheidend, aber für mich macht es gerade den Unterschied, ob man sich hier auskennt oder ob man sich immer mal wieder übers Ohr hauen lässt. Der Inder auf der anderen Seite hat auch meistens ein Lächeln parat, scheinbar anerkennend, weil sich zumindest dieser Ausländer nicht so leicht wie die üblichen Ausländer ausnehmen lässt. Ansgar antwortet hier auch gerne auf die Frage seiner Herkunft mit Chennai, so dass eine kurze Verwirrung bei dem Gegenüber entsteht, die Frage wird nochmal gestellt, wieder heißt es Chennai und schon kommt man in eine Unterhaltung über die Stadt und alles andere. „Ob man denn Tamil kann“, kommt dann die grinsende Frage und „Illa, jeneke tamil teriade“ (Nein, ich kann kein tamil) lautet die Antwort, so dass man ein herrlich verbluefftes Gesicht erntet.
1 Kommentar:
Wie immer sehr sehr interessant, was Du schreibst.
Lass es Dir gut gehen.
HE
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