Montag, 28. Januar 2008

Ponne







Ein wenig aus dem Alltag. Das Netzwerk an Freunden vereinigt die gesamte deutsche Gesellschaft untereinander. Geht man abends mit ein paar Leuten los, so trifft man ganz sicher auch die ganzen anderen Deutschen und ein paar High-Society-Inder. Zum einen ist das sehr nett, zum anderen fehlt dadurch die Bindung zu der „normalen“ indischen Gesellschaft. Diese Menschen lerne ich immer besser bei der Arbeit kennen, weil wir in einem kleineren Team arbeiten, täglich zusammen auf dem Dach mit Kaffeegutscheinen Kaffee trinken und mittags zusammen essen gehen. Verbunden mit dem Essen sind meine ersten Bauchschmerzen und mein erster Krankenhausbesuch. Die Behandlung kostet für Inder 50 Rupees, für Foreigner 75 und dreißig Tabletten kosteten nochmal 120 Rupees. Ich ging also in das Krankenhaus, wurde direkt in das Zimmer, in dem eine Ärztin und eine Krankenschwester sich befanden, durchgewunken, erzählte mein „Krankheitsbild“, das ich hier lieber nicht weiter ausbreite, und durfte mich dann hinlegen. Bevor ich mich ausziehen durfte, fragte die Ärztin „Do you smoke“. „Yes Ma`am“. „How much you smoke?“. „Around 10 to 15 daily“. “Is it enough?”. “Hä?”. “Is it enough for you? You want more?”. “Naa naa, it`s okay”. “Smoking is not good for your health!”. (Ja, Mutter). “I know”. “Why do smoke then?”. “I don`t know”. “Stop smoking, it`s not good for your health!”. “I got stomach problems”. “Put off your shirt….” Die Schwester fühlte dann meinen Puls, die Ärztin wurde sogar wieder freundlich zu mir, weil ich irgendetwas scheinbar Lustiges gesagt hatte, ich holte mir nebenan die Tabletten in der Apotheke, ging zurück zur Arbeit. Dort nahm ich wie versprochen eine Tablette ein, am Abend dann die restlichen drei Tabletten. Danach fuhren Ansgar und ich in eine Bar und brauchte nicht einmal einen einzigen Schluck Bier, um mich zu fühlen, als hätte ich schon 5-6 intus.

Nach unserer Heimkehr drehte sich alles und mir war schwindelig, beim Schlafen gehen, musste ich mich konzentrieren, damit sich das Augenschließen nicht zu sehr anfühlte, wie ein freier Fall. Am nächsten Morgen präparierte ich ein deftiges Frühstück, damit nicht wieder dasselbe passiert und rein nebenbei wollten sich Ansgar, Anke und Mirco die Tablette ansehen. Dabei wurde festgestellt, dass es sich um ein Antibiotikum, einer Tablette für gewisse Magenbakterien zum Ausgleich und einer Schmerztablette auf Paracetamol-Basis mit einer Dosierungseinheit von 650 handelte. Die (starken) Kopfschmerztabletten aus Deutschland haben die Aufschrift 100 oder 500. Wohlgemerkt war mir über vier Tage vorgeschrieben worden, den Kram einzuwerfen. Bei der „Zwischendurch“-Tablette handelte es sich dann wiederum um eine Art Immodium-Akut, die nach eigenen Angaben wegen ernsthafter Verstopfungsgefahr nicht länger als zwei Tage genommen werden soll. Insofern sei dem Indien-Reisenden empfohlen, die Tablettendosierungen nochmals selbst zu überprüfen.

In die gleiche Kerbe schlägt eine Geschichte, dass ein Bekannter sich nach einem Motoradunfall den Arm und die Hand schienen ließ um dann beim zweiten Besuch in einem anderen Krankenhaus zu erfahren, dass sein Mittelfinger gar nicht gebrochen sei und deshalb auch nicht weiterhin geschient werden müsste. Noch besser aber gefällt mir die Geschichte, die mir unlängst eine Bekannte zutrug: diese war sicher nach irgendwo auf dem Weg, als ein Polizist mit Schlagstock begann, mit Letzterem auf einem knochigen Rikshaw-Fahrer und einer Frau einzuprügeln, auf Kopf, Arme, Rücken. Der Rik-Fahrer habe noch seine Hände hingehalten, damit man ihm auf die Hände schlägt, aber derartig barmherzig war der Polizist wohl nicht veranlagt. Natürlich hatte er guten Grund, es war ihm zugetragen worden, dass die Frau auf dem Schoß des Rik-Fahrers gesessen habe, woraus der Bulle dann ganz helle schloss, dass sie eine Prostituierte sei. Man darf deswegen nicht ausschließen, dass so etwas nicht auch in Deutschland geschehen könnte, wobei die Wertvorstellung sich sicher etwas anders darstellt. Dazu mag ich auch die etwas ältere Geschichte aus Chennai bemühen, dass ein Park für längere Zeit geschlossen wurde, weil ein Pärchen sich dort geküsst hat. Und genau aus derartigen öffentlichen Provokationen patrollieren am Strand in Chennai einige Polizisten auf und ab, damit dieses ach so triebgesteuerte Völkchen nicht wie wild über sich herfällt. Nachts, also ab 10 oder 11, wird der Strand dann geschlossen. Wenn ich mich recht entsinne wird in Südfrankreich der Strand ebenfalls nachts geschlossen, allerdings aus dem Grund, dass die Liebespärchen morgens nicht von dem gigantischen Strand-Hak-Fahrzeug überrollt werden. Allerdings ist Frankreich auch dasjenige Land, das in öffentlichen Swimmingpools Badeshorts verbietet und nur noch die hautengen Höschen erlaubt.

So unterschiedlich sind die Länder. Im Alltag kann man diesem meist entfliehen, auf dem täglichen Heimweg in der Rikshaw suche ich stetig nach Anhaltspunkten, an denen ich mich orientieren kann, beobachte die Motorradfahrer, die anderen Rikshaws, wie sich der gesamte Verkehr dahin schlängelt – beinahe gleicht es einem Wunder, dass sich nicht an jeder Ecke Unfallopfer türmen. Nicht ohne Grund sieht man an vielen Motorrädern Metallstangen, die als Abstandshalter zu beiden Seiten hin dienen. Beinahe jeden Tag fahre ich einen anderen Weg nach Hause, weshalb mir die Anhaltspunkte nicht so sehr viel helfen. Ab und an sorge ich mich, ob der Fahrer mich vielleicht gar nicht nach Hause fahren möchte, sondern mich irgendwo anders abzuliefern gedenkt. Zuerst vernimmt man in einem solchen Augenblick einen beißenden Uringeruch neben dem täglichen Smok. Dazu mischt sich gelegentlich ein fauler unbekannter Geruch und gerne auch einmal eine Ahnung von Curry. Es geht durch eine dunkle Straße, links und rechts stehen keine Häuser mehr, nur Baracken und dann nicht einmal mehr Baracken, sondern notdürftige Hütten, Dächer aus Pappe, Plastik, Palmenblättern oder Wellblech, alte gebrechliche Menschen sitzen scheinbar tatenlos davor, einige Menschen laufen kreuz und quer, einige Frauen kochen über einem Gasherd oder bloßem Feuer oder waschen zwischen oder vor den Hütten auf dem Boden Wäsche, einige Kinder spielen im Dreck, ein Mädchen tritt sauber und makellos angezogen aus einer der Hütten, aufrechten Ganges passiert sie die Hütten, blickt mich an, aber ihr würdevoll majestätisches Gesicht scheut sich vor einem Lächeln und sie erscheint stolzer und wertvoller als die Mädchen in den Five-Stars. Die Straße ist holprig, so dass wir die Fahrt verlangsamen müssen. Nach links und rechts weichen wir den Schlaglöchern aus, rauschen um Haaresbreite an den Menschen am Straßenrand vorbei, die das seelenruhig hinnehmen. Es kommt vor, dass sich der Rik-Fahrer tatsächlich verfahren hat, dann anhält und ein Unwohlsein in mir aufsteigt. Einige Menschen blicken dann vom Straßenrand hinüber – mehr nicht. Der Fahrer biegt rechts ab, die nächste Straße ist kurz und genauso ärmlich, erbärmlich. Wir treffen auf eine Hauptstraße und innerhalb einer Millisekunde weiß ich wo ich bin: hier lefta, dann in zwanzig Metern lefta, dann in dreißig Metern second righta, dann stoppa, da bin ich daheim. So scheint die Nachbarschaft beinahe jeden Ortes in irgendeiner kleinen Seitenstraße auszusehen. Ob man genau hinsieht ist sicher eine andere Frage. Nichtsdestotrotz verwundert es, wenn auf DW-TV (Deutsche Welle Fernsehen) Merkels Strategien gelobt werden, beispielsweise bei ihren Besuchen in der dritten Welt und unsere alltäglichen Bilder der indischen Städte werden gezeigt.



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