Samstag, 12. Januar 2008

Tag..

Ich konnte leider meinen Gedankengang nicht ganz beenden. Dennoch. Es geht schlicht darum, dass sich diese menschlichen Kontakte gut anfühlen, auch ganz ohne Berührung. In der Ausländerbehörde und auf den Straßen gehen sogar die Weißen freundlich miteinander um, bieten sich gegenseitig Hilfe an. Eine französische Familie saß am gestrigen Tag eine Stunde vor dem Schalter in der Ausländerbehörde in der Schlange. Ja, hier sitzt man gelegentlich in der Schlange. Jedenfalls war ich in derselben Zeit zweimal bei der Schreibtisch-Lady, dann beim Officer, dann am Schalter und nochmal bei der Schreibtisch-Lady. Also riet ich den Franzosen sich einfach etwas offensiver zu verhalten, weil freundliches Anstehen hier nichts taugt. Alle zwei Minuten kommt ein Aufseher, fuchtelt wild in der Gegend herum, gibt irgendwelche Anweisungen, nach denen die gesamte Sitzordnung geändert wird. Scheinbar willkürlich saß ich dann also in der ersten Reihe vor dem Schreibtisch und vor mir war nur noch ein Mann der gerade mit der Schreibtisch-Lady seine Unterlagen durchging. In Deutschland malt man ja gerne Abstandsstriche, damit ich meine höchstpersönlichen Postangelegenheiten klären kann, ohne dass mir jemand dabei über die Schulter guckt. Bald bestellen wir bestimmt auf diese Weise auch Döner. In Indien nimmt man einfach direkt vorne am Schreibtisch auf dem zweiten Stuhl Platz, glotzt dem anderen unverhohlen in die Unterlagen und wartet, bis man seine Unterlagen der Lady geben kann. Das sah beim Finanzamt genauso aus. Die Lady dort bearbeitete gleichzeitig bestimmt fünf Vorgänge, während mein PR-Mitarbeiter, der mich durch die ganze Stadt zu den Ämtern fuhr, immer wieder auf sie einredete, was sie nicht sonderlich zu stören schien. In Deutschland heißt es sicher „einer nach dem anderen. Ich kann nun wirklich nicht zwei Vorgänge gleichzeitig bearbeiten“. Nein, das können sie hier auch nicht. Aber sie tun es einfach. Während sie also mit dem Mann redete, der eigentlich vor mir an der Reihe war, redete der PR-Mann (sein Name ist so ähnlich wie Car-Trick, ich glaube sogar Car-Tick, man braucht eindeutig Eselsbrücken) auf sie ein und die Lady telefonierte mit irgendwem, dass klang in etwa dauerhaft wie „anala german la“, was soviel bedeutete, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie den Vorgang mit dem nervigen Deutschen regelt. Die Sprache an sich ist sowieso eine herrliche Sache, ich werde mal jemanden bitten, ein wenig Tamil zu quatschen, dann kann man das bestimmt hier abspielen. Wirklich viel versteht man da nicht. Ich zumindest nicht.

Am vergangenen Samstag traf ich mich jedenfalls mit Hudson, dem Deutsch-Tamilen aus der Handelskammer in Adyar-Indra Nagar-Watertank-60 Rupees, meiner alten Heimat. Dort angekommen ging ich zu Gopalans Haus, meinem ehemaligen Chef, der den Refees hier Unterkunft bietet. Oskar, der alte dreckige und stinkende Schäferhund lag wie eh und je im Schatten und wollte gar nicht erst aufstehen. Nachdem ich ihn aber beim Namen nannte, kam er dann doch angetrottet, streckte Pfote entgegen und wollte gar nicht mehr loslassen – er wäre sonst auch sicher umgekippt. Gopalans Haus sieht aus wie immer und gibt mir ein wehmütig heimisches Gefühl. Hudson kommt herunter, ich sage, ich würde gerne zum Friseur und es ist wirklich ein Segen, einen tamilisch sprechenden dabei zu haben. Wir gehen hoch zur LB-Road, an der Ecke ist das gute alte Chicken-Head Restaurant. Der Name hat sich über Generationen von Refees so erhalten: es handelt sich um ein Veg-Restaurant und als einmal ein Refee davorstand, fiel ein Hühnerkopf vom Dach vor seine Füße. Das Essen ist dort aber sehr gut, man bekommt ein All-you-can-eat Menu (Thali) für 30 Rupees, wenn Parin nicht dabei ist. Wenn Parin dabei ist, muss man in den klimatisierten Keller, da entgeht einem der Blick auf die vollbefahrene lebendige Straße, es ist schweinekalt und man bekommt anstelle eines Bananen-Palmenblattes einen aus Keramik geformten Kreis, auch Teller genannt. Man munkelt, dass unten sogar einige indische Familien untereinander englisch sprechen und ganz selten manche sogar mit einer Gabel essen.

Hudson kannte einen Friseur neben dem Restaurant, nicht dass er schon einmal da gewesen wäre – ich war nun offensichtlich sein Versuchskaninchen. Uns öffnet ein pickliger Zehntklässler, der Ronaldinho ein wenig ähnelte, die Glastür, in seinem Fernseher läuft eine tamilische Soap, der „Salon“ misst gut 10 Quadratmeter, Hudson redet irgendetwas mit ihm, der Junge bietet mir einen Platz an, schaltet direkt neben mir die Klimaanlage an, er ist wohl der Friseur. Ich erkläre also Hudson was ich in etwa möchte, Hudson stellt sich hinter mich und erklärt es dem Jungen und das ganze Gespräch gleicht eher einer Verhandlung und die Zeichen, die ich sehr wohl über den Spiegel wahrzunehmen vermag, gleichen eher einer zu hoch anzusetzenden Guillotine. Nun gut, der Junge zückt die Schere, Hudson guckt die Soap im Fernsehen an und das Schnipp-Schnapp ist eindeutig gekonnt und fingerfertig. Über den Ohren arbeitet das Jungchen mit einer ungeheuren Präzision, später sogar mit einer frischen Rasierklinge. Sämtliche Ergänzungen macht er gerne und antwortet auf die Frage nach seinem Alter mit achtzehn, wirft uns danach aber verstohlene Blicke zu. Ehrlich gesagt wirken ein Weißer und ein Tamile, der aber auch deutsch spricht, tatsächlich ein wenig Angst einflößend, nicht geheuer. Insgesamt ein tolles Erlebnis, nicht in einen Friseursalon, sondern zu einem richtigen Handwerker zu gehen. Kostenpunkt 40 Rupees, das sind gut 80 Cent.

Danach gehen wir ins Chicken-Head, bestellen einen Kaffee und einer der Kellner begrüßt mich mit Händedrück, er kennt mich noch aus 2006, grinst, redet und redet und lässt meine Hand nicht mehr los, was mich dann doch ein bißchen an Oskar erinnert. Nun gerät endlich auch Hudson in Sprachprobleme weil Coffee to-go und takeaway hier keiner versteht, das heißt eben parcel oder am besten „parcelha“. Mehrere Kellner gesellen sich nacheinander an unseren Tisch, grinsen breit und Hudson lädt mich auf den Kaffee für glatte 10 Rupees ein. Danach lernen wir, warum man mit einem Coffee for parcel nicht in die Rikshaw steigt. Wir fahren zum Strand, Kaffe, Zigarettenqualm und Abgase wehen und gleichermaßen mehr oder weniger angenehm entgegen. Dort angekommen treffen wir ein paar Deutsche und einen Kanadier im Englandtrikot und spielen am Strand Fußball. Zumindest fünf Minuten lang ist unser Spiel qualitativ Weltklasse, danach bloßer Standfußball, wobei es erschreckend, dass die anderen alle 10 Jahre älter sind und länger laufen können als Hudson und ich. Wir haben sonnige dreißig Grad, kühlen Wind, das Meer schlägt Wellen, der Sand ist angenehm warm an den Füßen, am Rücken, im Mund. Ein paar Meter entfernt spielen einige Tamilen Cricket und spielen uns immer wieder den Ball zurück. Als das erste Mal der Ball von ihnen nicht zurückgespielt wurde und sich einer aus unserer Gruppe schon zum Ballholen erbarmen wollte, befahl ein am Rand stehender und vollkommen unbeteiligter Tamile den Cricket-Jungs, uns gefälligst den Ball zuzuspielen. Sehr nett. Auf der Mauer, die den Strand von dem Strandweg abgrenzt, sitzen ein paar junge Pärchen, gerade so nah aneinander, um ein wenig Wärme des andern zu spüren, mehr Nähe wird in der Öffentlichkeit nicht gezeigt. Meist guckt sie zu ihm, erzählt etwas und er sieht sich unser Spiel an – überhaupt sind die Weißen mit dieser unpopulären Sportart gerade eine Attraktion. Ich stehe mittlerweile wegen leichter konditioneller Defizite im Tor, eigentlich aber nur, um Euch diese Beobachtungen zu beschreiben…

Danach sitzen wir bei Dirk auf dem Dach, Hudson und ich bei Wasser, die anderen trinken Weizen, ein Kicker steht parat, aber keiner von uns will sich noch bewegen. Der Abend endet nach einer endlosen Fahrt durch das stickige überfüllte und mittlerweile dunkle Chennai bei Ansgar und mir auf dem Dach. Hudson hat sich von einer Cocktailparty losgerissen und eine Kiste Bier mitgebracht, es ist angenehm warm draußen, Anke gesellt sich zu uns, Rebecca ist zu Besuch und es entsteht eine richtig nette Unterhaltung, vier Deutsche, eine Tamilen. Die Muttersprache ist wichtig, falls sich jemand fragt, warum ich hier nur mit Kartoffeln sitze. Schade, dass Parin, Mukun, Bhatti und Vivek nicht mehr in Chennai sind. Ranvir und Avneet werde ich noch treffen. Das sind alles Freunde aus 2006, also wirklich welche, mit denen vor allem persönliche und kulturelle Unterhaltungen möglich ist. Dafür, dass ich erst kurz hier bin, freue ich mich über die ganze Gesellschaft um mich herum, freue mich nachts mit der Rikshaw nach Hause zu fahren und das Übriggebliebene des täglichen Lebens zu sehen. Wenn ich über „das Leben“ schreibe, dann ist das unvergleichlich, mit dem „Leben“ in Deutschland. Wer die Hamburger Innenstadt im Dezember vor Weihnachten kennt, dem fehlt einfach der Chennai`s Gestank an allen Ecken und Ende, das sekündliche Hupen, der Staub in der Luft, 35 Grad Temperaturunterschied, die kleinen Läden, die Menschen, die sich nach den Weißen umgucken. Dem fehlt, beim Überqueren einer Straße täglich fast überfahren zu werden. Derjenige kennt auch Straßen ohne Schlaglöcher und Kantsteine, auf denen man auch gehen kann. Der weiß, man in den Läden normale Preise bekommt und dass man nicht überall und immer verhandeln muss. Er kann überall essen, wo es nach essen riecht.

Es gibt noch soviel mehr.

3 Kommentare:

Ivor Bigbottie hat gesagt…

Glad to read you made it safely to Chennai. I was kind of anxious you'd get abducted in Bahrain and forcibly (well, sort of) enroled in "Big" Abdul Ibn Sissy Al Homo Bin Muhammad's "AllButchNoBitch" harem.

Oh, about dem lil' galz teasin' ya? Your zipper was down.

Shalalala-la-long. Hindu pawa.

Yours remotely,
 4.

MiamiJan hat gesagt…

Neid Pur :(

MiamiJan hat gesagt…

Neid Pur :(